Tagebuch eines Engels

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Habe mich auf eine besinnliche Zeit mit ihr gefreut, aber sie sagt, sie habe leider keine Zeit. Der Terminkalender ist schwarz vor Terminen. So viel sei zu erledigen. Habe ihr dann ein Bein gestellt. Sie hustet jetzt. Musste sich krank schreiben lassen. Eine Woche raus aus dem Rummel. Vielleicht hilft das ja. Sie sagt: Vor lauter Terminstress und Erwartungshaltung kann sie den Advent gar nicht mehr spüren. Alles abgenutzt und hohl irgendwie. Jedes Jahr der gleiche Zirkus. Und es wird immer mehr. Alle wollen besinnlich sein. Aber nirgendwo ist sie zu finden, die Besinnlichkeit. Jeder Sportverein, jede Kindergruppe feiert eine eigene Weihnachtsfeier. Im November geht es schon los. Ich backe Weihnachtskekse und halte ihr einen Zimtstern unter die Nase. Sie probiert ihn: „Schmeckt ganz gut. Ach, ich habe es noch gar nicht geschafft zu backen. Dabei habe ich mir fest vorgenommen dieses Jahr die leckeren Makronen von Oma zu backen und die Nussecken sind ein Muss, außerdem wollte ich noch die leckeren Vanillekipferl ausprobieren und mit den Kindern muss ich natürlich noch Ausstechkekse machen, na klar. Was wäre die Vorweihnachtszeit ohne?“ Vielleicht reicht dieses Jahr auch mal nur eine Sorte… versuche ich es vorsichtig, aber ich ernte nur einen giftigen Seitenblick. Na gut, seufze ich. Soll sie nur machen. Sie will noch Geschenke bestellen für die bucklige Verwandtschaft, und was besonders Kreatives selbst machen für ihre beste Freundin, aber sie kommt nicht dazu. Kind 1 spuckt, Kind 2 rotzt, Kind 3 muss dringend zum Kinderarzt. Sie selbst hustet weiter. Die Stimme geht weg. Der Auftritt mit dem Gospelchor muss dann wohl gestrichen werden. Ich lege ihr einen Artikel auf den Schreibtisch: „Weniger ist mehr.“ Steht da. „Wie wir Weihnachten beschlossen haben, uns nichts zu schenken und dabei reich wurden.“ Ein Selbstversuch einer Journalistin und zweifachen Mutter aus Frankfurt. Vielleicht inspiriert es sie ja? Der Vorabend von Weihnachten kommt, Wir haben nicht ein einziges Mal zusammen um den Adventskranz gesessen und Weihnachtsmusik gehört. Bin ein bisschen enttäuscht, auch wenn ich es habe kommen sehen. Habe mehrmals ihre Spotify Weihnachtshitliste eingeschaltet, aber sie hat es nicht gehört. Konnte die Dudelei nicht ertragen. Sie schreibt an einem Einkaufszettel für die Festtage. Der Feldsalat ist ausverkauft. Und die Mascarpone. Jetzt muss es eine andere Vorspeise geben. Und die Torte umdisponiert werden. Sie bekommt hektische Flecken im Gesicht. Ich stelle ihr ein Glas Wasser hin. Sie kippt es runter und bricht in Tränen aus. Ich biete ihr einen Platz auf dem Sofa an. Diesmal nimmt sie ihn endlich an. Wir setzen uns: Ich sage: Fürchte dich nicht. Gott ist nah. Er wird bei dir wohnen. Um dir nahe zu sein. Und du musst nichts vorbereiten für ihn. Er kommt um dir Frieden zu schenken. Tiefen inneren Frieden, nach dem du dich so sehr sehnst. Lass dich einfach beschenken.

Am Ende sitzen wir da, am Heiligen Abend. Vieles ist nicht fertig geworden. Für die Erwachsenen gibt es dieses Jahr kein Geschenk. Es gibt Nudeln mit Soße statt Festtagsbraten. Der Weihnachtsbaum ist krumm gewachsen, war der Restposten im Schlussverkauf. Die Kinderaugen strahlen trotzdem und das macht Vieles wieder wett. Sie sitzt da, sieht müde aus. Aber trotzdem zufrieden für diesen Moment. „Nächstes Jahr wird alles anders,“ sagt sie. Ich lächle ihr aufmunternd zu. Innerlich bastle ich aber schon an neuen Ideen wie ich es nächstes Jahr schaffen kann, sie an das Wesentliche zu erinnern. Ich weiß jetzt schon, ich werde wieder alles geben. Dafür bin ich ja da. 

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