Eine meiner intensivsten Kindheitserinnerungen sind die an Omas und Opas Garten.
In meinen Träumen bin ich wieder dort. Habe den Geschmack von ungeschälten erdigen Möhren auf der Zunge oder von rohem Rhabarber. Da schaukel ich wieder hoch in die Wolken, ich sehe die abgeblätterte Farbe der Pferdezeichnung auf der Tür der alten Hütte. Ich sammle Himbeeren und puhle Dickebohnen zusammen mit meinen Brüdern. Ich höre das Schnattern der Gänse aus dem Garten nebenan. Meine Hände wühlen in der Erde und ich spüre noch heute die Begeisterung über jede gefundene Kartoffel. Ich höre das Summen der Bienen. Ich rieche die zeriebenen Blätter von Maggikraut. Und fühle das kalte Wasser in der verbeulten Regentonne. Und ich weiß noch, wie ich mich verlieren konnte im endlosen Spiel. Wie ich meinen Brüdern zeigte, wie man aus Erde und Wasser Kakao macht.
Ich weiß nicht ob ich all meine Liebe zur Natur von meinen Großeltern geerbt habe, aber ich weiß ganz bestimmt, dass meine Begeisterung fürs Gärtnern von ihnen geweckt wurde und dafür werde ich ihnen ewig dankbar sein.
Die Wurzeln meiner Kindheit liegen irgendwo dort in diesem Garten, den es heute so gar nicht mehr gibt. Aber wenn ich die Augen schließe bin ich wieder dort. Und ich habe etwas mitgenommen von dort hierher ins Heute. Die zähe Hoffnung, auch auf dem kleinsten Balkon die größten Wunder zu erwarten. Die Geduld, zu warten, die ich sonst eher so gar nicht habe. Die Fähigkeit, mich in kleinen Wundern zu verlieren und alles um mich herum auszublenden. Die Ehrfurcht vor dem Leben. Und vor allem ein großes Staunen über das, was alles wächst aus einem kleinen Kern. Ein Staunen über die Schöpfung und ein großes Dankeschön an den, der sich solche Wunder ausgedacht hat. Heute darf ich einen Gemüsegarten mein eigen nennen. Ich habe lange auf diesen Moment gewartet. Das, was ich dort erleben und spüren darf, ist in Worten kaum auszudrücken. Es ist anstrengend und mühsam. Es gibt Frust und Enttäuschung, wenn ein Hagelschlag die zarten Pflänzchen zerstört oder ein Same einfach nicht angehen will. Aber die Begeisterung über eine ausgegrabene Kartoffel ist immer noch so groß wie früher.
Wenn ich heute meine eigenen Kinder in der Erde wühlen sehe, dann wird mir klar, wie unglaublich wichtig es ist, diese Erfahrungen über Generationen hinweg weiterzugeben. Und nicht damit aufzuhören. Gerade in der heutigen Welt. Wo die Bienen aussterben. Wo mit Gift alles todgespritzt wird. Wo nicht mehr im Einklang mit der Natur sondern gegen die Natur gearbeitet wird. Wo die Natur ganz offensichtlich nichts mehr wert ist. Und es keine Ehrfurcht mehr gibt vor dem Leben.
Wir dürfen uns nicht weiter entfernen von unserer Schöpfung und unserem Schöpfer.
Die Prognosen von Wissenschaftlern über die Zukunft unserer Erde machen mir Angst und die Rücksichtslosigkeit gegenüber der Schöpfung in unserer Welt machen mich unendlich traurig.
Aber jeder grüne Halm in meinem Garten, jede Blüte und der Geschmack von selbstgezogenem Kohlrabi in meinem Kochtopf nähren meine Hoffnung und meinen unverwüstlichen hartnäckigen Willen, weiterzumachen. Zu säen und zu ernten. Und das alles weiterzugeben. Menschen das Staunen zu lehren. Und die Ehrfurcht vor dem Leben. Die Dankbarkeit vor dem großen Künstler, der sich all das ausgedacht hat. Und die Weisheit, dass nicht alles in unserer Hand liegt.
Dass wir als Menschen nicht alles machen können und auch nicht müssen.
Dass mein Beruf als Pfarrerin so viel mit all dem zu tun hat, hätte ich gar nicht gedacht und ist ein weiteres Wunder über das ich staunen darf. Und das Gefühl, ich bin am richtigen Platz.
Im Garten unseres Schöpfers.