Das Leben wäre wohl nicht das Leben, wenn es nicht Beides wäre: Schön und schrecklich zugleich. Und die guten und wunderschönen Momente – sie wären nur halb so schön, wenn wir nicht auch die andere Seite kennen würden: Den Abgrund, die Verzweiflung und die Angst. Vielleicht spüren wir diese Ambivalenz in diesen Tagen besonders intensiv. Das Wetter verwöhnt uns, der Frühling steht in voller Pracht da, die Welt wirkt so friedlich und wunderschön. Und zugleich ist unsere Welt so bedroht und so unsicher geworden wie vielleicht nie zuvor. Da kann uns bewusst werden, dass all die schönen Momente nicht selbstverständlich sondern letztlich ein Geschenk sind. Freud und Leid hängen bekanntlich eng zusammen. In den letzten Wochen musste ich Abschied nehmen von meinem Großvater und zugleich regt sich neues Leben in meinem Bauch. Geburt und Sterben, lachen und weinen, Sonne und Regen – all das macht unser Leben aus. Diese Erfahrung, dass das Leben geschenkt und bedroht zugleich ist, die ist so alt wie die Menschheit selber.
Die Bibel enthält viele persönliche Worte von Menschen, die versuchen, diese Erfahrung in Worte zu fassen. Die uralten Psalmen der Bibel spiegeln die Sehnsucht nach Frieden, die Dankbarkeit über geschenktes Glück, aber genauso die Angst vor der Gefahr und die Verzweiflung über das bittere Leiden wider. Und die Menschen dort haben einen Adressaten für all ihre Emotionen: Sie wenden sich mit all ihren Gefühlen, ihren Sehnsüchten und Geschichten an Gott. Sie klagen ihn an, sie danken ihm, sie stellen ihn in Frage und schreien zu ihm um Hilfe. Das hat etwas Befreiendes, wenn man sich das so von der Seele schreiben und singen kann. Vielleicht ist das auch keine schlechte Idee für uns heute denke ich. Wenn uns die Worte fehlen, können wir auch heute noch Zuflucht in den uralten Worten von damals finden, so mancher Psalm hat an Aktualität nichts verloren. Oder wir schreiben einfach unseren eigenen Psalm. Und der klingt dann vielleicht so:
Wenn ich zu dir rufe, Gott, dann schweige nicht weiter, sondern hör mich an! Ich habe Angst in diesen Tagen. Angst, dass geliebte Menschen schwer krank werden. Angst, dass ich in ihrem Leiden nicht für sie da sein kann. Ich habe Angst vor dem Tod. Er scheint so endgültig. Zerschlage doch die Feinde, die uns das Leben zur Hölle machen: Das Virus, das uns alle gefangen hält, die Folgen des Klimawandels, die wir überhaupt nicht im Griff haben. Die Menschen um uns herum, die uns das Leben so schwer machen. Vergib uns, dass wir Vieles von dem was uns bedroht selbst verschuldet haben: Wir gehen rücksichtslos mit deiner Schöpfung um und fragen nicht mehr nach dir. Wir meinen wir hätten alles alleine viel besser im Griff. Aber es wird immer klarer: das haben wir nicht. Hilf uns aus diesen Gefahren! Befreie uns aus unserer eigenen Unzulänglichkeit und schenke uns wieder Freude am Leben. Gott, wir haben das schon erlebt: Wie wunderschön diese Welt ist. Die Sonne, der Urlaub, die Liebe, die Freundschaften. Du hast uns so viel Glück geschenkt. Gib uns doch nicht auf und lass uns wieder neue Freude am Leben finden. Du hältst uns alle in der Hand. Bei dir sind wir sicher und geborgen. Dafür danken wir dir.